Kirche Pauluszell © Heike Arnold

Der "schiefe Turm" der Pauluszeller Kirche

Seit Jahrzehnten wird angenommen, der Kirchturm der Pfarrkirche Pauluszell hat eine Schieflage – und der Turm wäre auch schief, würde der Betrachter vor dem gewaltigen Backstein-Mauerwerk stehen, und schaut zur Kirchturmspitze. Jedoch täuschen das Auge und auch die bisherige Geschichtsschreibung.

Wird der Kirchturm einer vertikalen Begutachtung mit dem bloßen Auge unterzogen, so erwecken die verschiedenen, pro Stockwerk verschobenen Mauerabsätze den Eindruck, der Turm hat wirklich eine Schieflage, und auch die Turmuhr wäre nicht in der Mitte des Turmes. Das ist auch so, da der Turm beim Neubau im Jahr 1860 wegen der Standfestigkeit, zur Kirche hin stärker aufgemauert wurde, da der Höhenunterschied Straße/Kirchenboden, doch um einiges variiert. Der Schwachpunkt des mächtigen Kirchturmes ist sicherlich immer die Westseite, die mit einer guten und tiefen Untermauerung das ganze Gewicht des Turmes abstützen muß. Bei starken Westwinden oder bei einem Geläute aller Glocken, wirken auf den Turm und ganz besonders auf das Grundfest auch enorme Torsionskräfte.

Die derzeitige früheste Nennung einer Kapelle in Pauluszell geschieht in den Jahren 889/891: Die Kapelle in Pauluszell und diese von Velden werden an die Domkirche von Regensburg geschenkt. Verbindungen von Velden/Eberspoint und Pauluszell zur Domkirche/Hochstift Regensburg bestanden viele Jahrhunderte. Im Gewölbe der Pauluszeller Kirche befindet sich auf einem Schlussstein das rot/weiße Wappen des Hochstiftes Regensburg.

Auf der Landkarte des Philipp Apian vom Jahr 1560 hat der Pauluszeller Turm einen spitzen gotischen Abschluss. Es war kein Blitzeinschlag, wie bei der nahen Kirche von Niklashaag, der hier im Jahr 1560 einen Neubau des Turmes nötig machte. In Pauluszell war es der unsichere Boden, das Grundfest unter dem Turm. Freilich unterliegt jedes Baumaterial einem Alterungs- und Witterungseinfluss, wenn dann aber auch noch der Baumeister nicht die nötige Sorgfalt walten lässt, dann wird so ein mächtiger Kirchenbau zum Alptraum.

In den Kunstdenkmälern von Bayern, dem Bezirksamt Vilsbiburg vom Jahr 1921, werden Angaben zur Kirche Pauluszell gemacht: „Spätgotische Anlage der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts“. Aus den Kirchenrechnungen, die sich im Staatsarchiv von Landshut befinden, wird berichtet: „1760 wird der Turm, der keine Grundmauern hatte und einzustürzen drohte, vom Hofmaurermeister Felix Hirschstötter aus Landshut und dem Zimmermeister Franz Winckhler aus Vilsbiburg mit einem Fundament unterfangen“. Die ganze Sanierungsmaßnahme kostete den nicht geringen Betrag von 811 Gulden. Vor nunmehr 250 Jahren hatte sich also der Turm der Pauluszeller Kirche so geneigt, dass er einzustürzen drohte. Ein Kirchturm ohne Grundfest, lässt vielleicht auch auf einen kleineren Turm schließen. Vielleicht war es auch nur ein Glockenturm, wie ihn die Kirche von Gifthal heute noch hat. Jedenfalls stellte sich hundert Jahre später heraus, dass 1760 auch nicht besonders gut gearbeitet wurde – und 1860 soll der Kirchturm nicht nur neu unterfangen werden, sondern es muß ein vollkommen neuer Turmbau entstehen.

Ein neuer Turm 1860

Im Jahr 1858 wurde der Turm untersucht und festgestellt, dass im Jahr 1760 zwar ein Grundfest eingebaut und eine Untermauerung gemacht, der Turm selbst aber nicht fertig gebaut wurde; es fehlte der nötige Turmabschluß. Mit einem schmucklosen Pultdach wurde der Turm bekrönt, und dieses war nun so marode, dass es keine Reparatur mehr gab; ein vollkommen neuer Turm musste gebaut werden.

Am 27. November 1858 fertigte der Architekt und „Civilbauinspektor“ bei der Regierung von Niederbayern Leonhard Schmidtner in Landshut, einen Plan nebst Kostenvoranschlag für den neuen Pauluszeller Kirchturm. Er schreibt: „Der (alte) Turm aus Backsteinen ist bis zu einer Höhe von 80 Schuh (ca. 24 Meter) gotisch mit schönen Verhältnissen aufgeführt, und wie ersichtlich nicht vollendet worden. Man hat daher ein geschmackloses Pultdach darauf gesetzt, welches dem Ganzen eine gedrückte Gestalt gibt. Nun ist dieses Dach mit der Zeit so vermodert, dass es keine Reparatur mehr gibt sondern ein neuer Turm erstellt werden muß. Kostenvoranschlag 1.091 Gulden. Die Gelder können bei den Kirchen Niklashaag und Münster, die ein Geldpolster von 1.007 Gulden haben, aufgenommen werden“.

Eine lange Liste an Pauluszeller Bürger bestätigt den Bau des Turmes und leistet Scharwerksdienste (= Zuarbeiten). Von der Pfarrei Velden wollten die Pauluszeller Zuzahlungen zu ihrem Turm-Bauvorhaben, diese wurden abgelehnt, da bei der Pfarrkirche Velden erst eine gründliche Restaurierung im Inneren der Kirche war, und hierzu viel Geld verwendet wurde.

Für den Architekten Leonhard Schmidtner war es eine Selbstverständlichkeit, den Turm an das westliche Ende des Kirchenlanghauses zu bauen. Sicherer stände der Turm, wie bei vielen anderen Kirchenbauten auch, auf der Nordseite beim Chor. Aber es gehörte zur Eigenheiten des Architekten Schmidtner, den Turm an die verlängerte Achse im Westen zu erbauen, obwohl hier am Standort ein Geländeunterschied, mit einer erheblichen Absenkung zur Strasse hin, den neuen Turm wiederum in eine Gefahr bringen konnte.

Der Veldener Pfarrer Anton Weigel und die Kirchenpfleger Martin Stadler und Anton Sadlstadter beschließen 1859 den neuen Turmbau mit einer „Baurechnung über die aufgestellte neue Thurmpyradmide bei der Filialkirche Pauluszell, Pfarrei Velden“. Joseph Vornehm, Steinmetz von Neuhausen machte die Steinmetzarbeiten. Das Baumaterial kam von Maurermeistern aus Landshut. Die Bauleitung hatte Karl Behringer, Maurermeister in Velden, der die Bauarbeiten in Regie vergab. Georg Brenninger, bürgerlicher Maurermeister in Velden erhielt für ein Treibseil und Kloben 10 Mark.

Abriß und Neubau

Im August 1859 wird der alte Turm abgerissen. Bis der neue Turm fertig gestellt ist, vergehen fast ein Jahr, da im Winter nicht gearbeitet wird. In einer Wochenliste werden die Arbeiten aufgeschrieben. 6.000 Backsteine kommen von Joseph Rundbuchner. Vieles Geld wird für Bauholz aufgewendet. Zimmermeister ist Paul Stummer aus Velden. Peter Saurer, Schieferdeckermeister aus München erhält für die Eindeckung des Turmes mit Schiefertafeln 553 Gulden. Letztendlich zieht sich der Turm-Neubau bis zum September 1860 hin.

Nach Vollendung des Baues wird im Juli 1861 von der obersten Baubehörde in Landshut vorgeschlagen – „zur Vollendung des Ganzen ist noch der äußere Verputz des Turmes und der Kirche notwendig und es wird der Kirchenverwaltung Pauluszell aufgetragen diese Verputzarbeiten nachträglich herzustellen und den effektiven Aufwand nachzuweisen“. Nach der Fertigstellung des Turmes wurden noch die 13 Strebepfeiler an der Kirche erneuert.

Seit dem Neubau des Turmes sind nun 150 Jahre vergangen. Majestätisch schmiegt sich der mächtige Turm in fünf quadratischen Geschoßen, vier Giebeln und modernem, achteckigem Spitzhelm an die Kirche. Die oberen vier Geschoße sind reich mit Spitzbogenblenden belebt – ein typisches Zeichen des Architekten und Civilbauinspektors Leonhard Schmidtner, ein Vollziegel-Turmbau im neugotischen Stil des Historismus.